Die Begriffe im Haus des Lernens
Peter Fratton
Zusammenfassung für eilige Leser am Schluss des Artikels
In einem Haus des Lernens – das erste habe ich 1980 gegründet – wird der traditionelle Schulbegriff radikal neu definiert. Anstelle eines starren Stundenplans und festgelegter Lektionen arbeiten Lernbegleiter und Lernpartner in Präsenzzeiten, die den gesamten Lernprozess individuell und kooperativ gestalten. Das Konzept orientiert sich daran, dass Lernen ein ganzheitlicher und selbstbestimmter Prozess ist, bei dem feste Strukturen zugunsten von an den Bedürfnissen der Lernpartner orientierten Formaten zurücktreten.
Tätigkeiten im Haus des Lernens für Lernbegleiter:
1. Inputs (8 pro Woche):
Jede Woche führt ein Lernbegleiter mit einem Vollpensum maximal acht Inputs durch.
2. Clubangebote (2 Nachmittage pro Woche):
Zwei Nachmittage pro Woche bietet ein Lernbegleiter einen Club an..
3. Freiräume für individuelle Begleitung und Coaching:
Die restliche Zeit im Haus des Lernens wird für die Begleitung im Lernatelier und auf dem Marktplatz vorgesehen, sowie für die persönlichen Gespräche unter vier Augen.
Lernpartner statt Schüler
Der Begriff „Lernpartner“ stellt den Menschen in den Mittelpunkt, der aktiv und selbstbestimmt lernt. Anstatt passiv Wissen aufzunehmen, werden Lernende als gleichberechtigte Partner in einem gemeinsamen Lernprozess betrachtet. Dieser Ansatz fördert die Eigenverantwortung und betont, dass Lernen ein gegenseitiger Austausch ist, bei dem jeder sowohl Empfänger als auch Geber von Wissen und Erfahrungen ist.
Lernbegleiter statt Lehrer
Lehrkräfte werden hier nicht mehr als zentrale Wissensvermittler gesehen, sondern als „Lernbegleiter“, die den individuellen Lernweg jedes Lernpartners persönlich unterstützen. Ihre Rolle besteht darin, Impulse zu geben, zu beraten und den Lernprozess an den Bedürfnissen und Interessen der Lernpartner auszurichten. Die Beziehung zwischen Lernbegleiter und Lernpartner basiert auf Vertrauen und gegenseitiger Wertschätzung, was zu einer offeneren und kooperativeren Lernatmosphäre führt und Hierarchie und Mobbing verhindert.
Gelingensnachweise statt Prüfungen
Traditionelle Prüfungen, die zumeist Stress und Konkurrenzdenken fördern, werden durch Gelingensnachweise ersetzt. Dabei handelt es sich um individuelle, praxisnahe Nachweise, die den Lernfortschritt dokumentieren. Gelingensnachweise können wiederholt werden, bis die Kompetenz erreicht ist. In vorgegebenen Zeitgefässen kann man sich für den entsprechenden Gelingensnachweis anmelden. Anstatt ausschließlich auf Punktzahlen und Noten zu fokussieren, werden hier Erfolge im Lernprozess sichtbar gemacht – sei es durch kreative Projekte, praxisorientierte Aufgaben oder reflektierende Portfolios. Dieser Ansatz legt den Fokus auf das Gelingen und die individuelle Entwicklung, anstatt auf das Bestehen standardisierter Leistungsüberprüfungen.
Zugaben statt Aufgaben
Statt vorgegebener und oft starrer Aufgabenreihen werden „Zugaben“ eingesetzt, die den Lernprozess flexibel und an den Interessen der Lernpartner ausrichten. Diese Zugaben dienen als zusätzliche Anregungen, um das Erlernte zu vertiefen oder in neue Zusammenhänge zu übertragen. Sie fördern die intrinsische Motivation, da sie nicht als verpflichtende Pflichtaufgaben, sondern als willkommene Erweiterungen des Lernangebots verstanden werden, die den Entdeckergeist ansprechen.
Input statt Unterricht
Im Konzept des Hauses des Lernens wird der Begriff „Input“ bewusst gewählt, um den reinen Frontalunterricht zu ersetzen. Input umfasst kurze, oft multimediale Angebote, die als 20 bis 30 minütige Impulse zur selbstständigen Auseinandersetzung mit Themen dienen. Dabei steht nicht mehr das passive Zuhören im Vordergrund, sondern das aktive Aufgreifen und Weiterverarbeiten von Informationen, die individuell in den eigenen Lernkontext eingebunden werden. Die Inputs sind freiwillig, der Lernbegleiter kann aber Lernpartner bewusst zu einem Input einladen.
Lernatelier und Marktplatz statt Klassenzimmer
Die physischen Räume eines Hauses des Lernens werden neu konzipiert: Das klassische Klassenzimmer weicht einem „Lernatelier“ und einem „Marktplatz“. Im Lernatelier arbeiten Lernpartner und Lernbegleiter ruhig und für sich an ihrem eigenen Arbeitsplatz. Es herrscht Flüsterkultur. Der Marktplatz hingegen ist der Ort des Austauschs und der Begegnung, an dem sich Lernpartner treffen, diskutieren und voneinander lernen. Lernbgeleiter stehen bei Bedarf zur Verfügung. Diese Raumkonzepte unterstützen eine dynamische, interdisziplinäre Zusammenarbeit und fördern den spontanen Austausch von Wissen und Erfahrungen.
Persönliche Begleitung unter vier Augen
Ein zentrales Element im Haus des Lernens ist die individuelle, persönliche Begleitung. In regelmässigen, vertraulichen Gesprächen unter vier Augen werden Lernpartner in ihrem persönlichen und fachlichen Entwicklungsprozess unterstützt. Diese individuelle Betreuung ermöglicht es, gezielt auf Herausforderungen einzugehen, Stärken zu fördern und persönliche Lernstrategien zu entwickeln. Sie trägt wesentlich dazu bei, dass jeder Lernpartner sich in seinem eigenen Tempo und entsprechend seiner Interessen entfalten kann. Jeder Lernpartner sucht sich seinen Coach selber aus.
Kompetenzraster statt Lehrpläne
Anstelle von Stundentafeln kommen dynamische Kompetenzraster zum Einsatz, die den tatsächlichen Lernfortschritt und die individuellen Fähigkeiten abbilden. Kompetenzraster erlauben es, Lernziele flexibler zu gestalten und an den persönlichen Entwicklungsstand anzupassen. Sie bieten eine transparente Übersicht darüber, welche Kompetenzen bereits erworben wurden und welche Entwicklungsschritte noch anstehen. Dies fördert nicht nur die Motivation, sondern auch die Selbstreflexion und die Eigenverantwortung der Lernpartner. Die Ziele zu den gemeinsamen Kompetenzen können sich die Lernpartner selber setzen oder jene des Lernbegleiters wählen.
Eigener Wochenplan statt Stundenplan für alle
Statt eines einheitlichen Stundenplans erhalten die Lernpartner in einem Haus des Lernens die Möglichkeit, ihren eigenen Wochenplan zu gestalten. Dieser flexible Ansatz berücksichtigt individuelle Bedürfnisse und Interessen und erlaubt es, Lernzeiten, Pausen und Freizeitaktivitäten optimal miteinander zu verbinden. Durch die selbstbestimmte Planung wird die Verantwortung für den eigenen Lernprozess gestärkt und die intrinsische Motivation gefördert. Die Lernpartner können so ihre persönlichen Lernrhythmen entwickeln und auf ihre Stärken und Schwächen eingehen.
Morgenstruktur
Die Morgenstruktur gliedert sich in zwei wesentliche Phasen, die vor allem in den kognitiven Fächern – insbesondere Deutsch, Fremdsprachen und Mathematik – Anwendung finden. In den freiwilligen Inputs, in denen der Fachbegleiter in ca 10 Minuten über seine eigene Faszination erzählt, werden methodische Anregungen zur Zielerreichung gegeben. Den Lernpartnern werden Denkanstösse und grundlegende Wissensbausteine gezeigt. Anschließend folgt die Lernatelierzeit, in der das zuvor erhaltene Wissen für sich konsolidiert wird oder auf dem Marktplatz in einem kreativen und flexiblen Arbeitsumfeld weiterverarbeitet wird. Diese Kombination ermöglicht einen optimalen kognitiven Umgang, in dem das Fundament für weitere Lernprozesse gelegt wird.
Clubstruktur und Nachmittagsangebote
Die Nachmittage im Haus des Lernens sind den Club – Aktivitäten gewidmet: Es entstehen Clubs, die nicht nur als Freizeitangebote, sondern auch als praxisorientierte Lern- und Entwicklungsräume verstanden werden. Beispiele hierfür sind etwa der Bienen Club, Die Akrobaten, Start up für Jungunternehmer, der Bionik-Club und weitere themenspezifische Gruppen. Die Clubs werden öffentlich ausgeschrieben, sodass sich die Lernpartner aktiv bewerben können. Diese Auswahlmöglichkeit fördert die Eigenverantwortung und ermöglicht es jedem, seine Interessen gezielt zu verfolgen.
Die Organisation der Clubs folgt einem klar strukturierten Modell, das sowohl Führung als auch Gemeinschaftsarbeit betont. Folgende Rollen sind definiert:
- Clubmeister: Er übernimmt die Gesamtkoordination und sorgt für die strategische Ausrichtung des Clubs.
- Sekretär: Zuständig für administrative Aufgaben, wie Protokolle und organisatorische Abläufe.
- Finanzchef: Verantwortlich für die Budgetplanung und die Verwaltung finanzieller Ressourcen.
- Chronist: Dokumentiert die Aktivitäten, Projekte und Erfolge des Clubs auch gegen aussen (Eltern, Medien etc).
- Marketingverantwortlicher: Kümmert sich um die Aussendarstellung und die Kommunikation, um den Club auch nach aussen zu präsentieren.
- Personalchef: Betreut die Belange der Mitglieder und unterstützt bei der Personalentwicklung.
- Mitglieder: Sie bilden die aktive Basis des Clubs und tragen durch ihre Teilnahme und Ideen massgeblich zur Umsetzung der Projekte bei.
Zusammenfassung:
Das „Haus des Lernens“ stellt ein seit 42 Jahren bewährtes Konzept moderner Bildung dar, in der die traditionellen Begriffe und Strukturen überdacht und angepasst werden. Statt das bestehende Angebot zu reformieren, wird es ersetzt durch innovative, z.T. auch disruptive Handlungs- und Lernalternativen. Im Mittelpunkt steht ein kooperatives, autonomes (aus sich selbst heraus) Lernen, bei dem Lernpartner und Lernbegleiter auf Augenhöhe zusammenarbeiten. Anstelle von Schülern gibt es Lernpartner, die aktiv in den Lernprozess eingebunden sind. Lernbegleiter unterstützen die Lernpartner in einem individuellen, auf deren Bedürfnisse zugeschnittenen Prozess. Prüfungen werden durch Gelingensnachweise ersetzt, die den persönlichen Fortschritt dokumentieren, und Aufgaben werden als „Zugaben“ flexibler gestaltet. Die Raumkonzepte des Hauses des Lernens fördern eine dynamische Zusammenarbeit: Inputzonen, Lernateliers und Marktplätze ersetzen klassische Klassenzimmer, und persönliche Begleitungen erfolgen in vertraulichen Gesprächen. Die Tagesstruktur ist in die Morgenphasen mit Input und anschliessender Marktplatz- und Lernatelierzeit sowie in die Nachmittage mit Clubangeboten unterteilt. Clubs bieten den Lernpartnern Freiraum für praxisorientiertes Lernen und kreative Projekte.
Fixe Stundentafeln werden durch Kompetenzraster ersetzt, die sich individuell nach den Bedürfnissen jedes Lernpartners richten. Auch der Wochenplan ist flexibel und wird von den Lernpartnern selbst gestaltet. Zusätzlich legt das Konzept des Hauses des Lernens grossen Wert auf flexible Präsenzzeiten statt fester Lektionen, um den Lernprozess weiter zu personalisieren. Die Lernpartner können sich in der Selbstverwaltung und Peer-Programmen engagieren, weitere Erfahrungen sammeln und ihre sozialen sowie fachlichen Kompetenzen explorieren. Insgesamt fördert das Haus des Lernens ein reflektiertes, motiviertes und lebensnahes Lernen, das durch Partnerschaften und individualisierte Förderung geprägt ist.