Die 4 pädagogischen Urbitten als Weg zur nichtdirektiven Begleitung

Peter Fratton

Einleitung

Vor 42 Jahren habe ich meine vier pädagogischen Urbitten formuliert:

  • Erziehe mich nicht, sondern begleite mich
  • Bringe mir nichts bei, sondern lass mich teilhaben
  • Erkläre mir nicht, sondern gib mir Zeit, zu erfahren
  • Motiviere mich nicht, aber dich

Diese Urbitten bringen mir regelmässig den Ruf des „umstrittenen Pädagogen“ ein, vor allem, wenn man nur die vier ersten Teile der Aussage nimmt:

  • Erziehe mich nicht
  • Bringe mir nichts bei
  • Erkläre mir nicht
  • Motiviere mich nicht

Die vier pädagogischen Urbitten

Worum geht es mir in den Urbitten? Wer nur die ersten Teile hört, hat zwei Möglichkeiten: entweder er lässt sich irritieren oder er ist verwirrt. Indem ich zu Beginn meiner Vorträge nur den ersten Teil der Urbitten zeige, gebe ich meinen Zuhörerinnen die Möglichkeit, einen Hinweis auf ihre Irritierbarkeit zu erhalten.

Irritation und Verwirrung – Eine gewollte Herausforderung

Irritation ist nämlich etwas äusserst Positives: das Ereignis vor einer Idee, die staunende Überraschung. Sie setzt Intelligenz und Verstehen voraus und ist zu unterscheiden von Verwirrung. Überraschungsfähigkeit, also Irritierbarkeit, ist ein Synonym für Lebendigkeit und Komplexität. Damit sind komplexe und lebendige Organisationen – und dazu würden Schulen gehören – irritierbar, wobei Irritationen zulassen heisst, neue Ideen zulassen und offen werden und bleiben für Veränderungen, bereit sein, nicht nur sichere Wege zu nehmen, sondern eigene Trampelpfade zu gehen.

Die Prägung durch Direktivität

Warum lassen sich so viele Menschen verwirren statt irritieren? Es hängt mit unserem Werden zusammen, mit dem, was Erziehung in  der Bedeutung des Wortes wirklich ist: Ein Weitergeben eines ungeordneten Sammelsuriums von zumeist selbsterlebten Direktivitäten. Einer sagt dem andern, was er zu tun hat. Je mehr Direktivität ein Mensch schon als Kind erfahren hat, umso schneller lässt er sich verwirren, umso weniger kreativ, eigenständig und unternehmerischer wird er, umso mehr wünscht er sich Sicherheit und Klarheit.

Nichtdirektivität als Alternative

Die Erfüllung der Urbitten geschieht durch eine nichtdirektive Begleitung. Wir alle möchten, dass unsere Kinder Freiheit erleben und lernen, damit umzugehen, dass sie nicht zuerst einmal ihre spontanen Lebensimpulse unterdrücken müssen, um „lernen“ zu können.

Die Auswirkungen auf Kinder und Erwachsene

Früher oder später merken wir aber, dass solch eine neue „Bildung“ für unsere Kinder vieles in uns selbst in Bewegung bringt. Wir selbst sind ja in einer Welt aufgewachsen und geformt worden, die mit den Spielregeln der Direktivität funktionierte und immer noch funktioniert.

Wissenschaftliche Perspektiven zur Nicht-Direktivität

Erwachsene, die entschlossen sind, sich für eine neue „Bildung“ einzusetzen, müssen mit Kritik von vielen – selbst erziehungswissenschaftlichen – Seiten rechnen. Darum sollten wir nicht nur auf unsere Intuition vertrauen, sondern uns auch eine ständig wachsende Zahl von neuen Forschungen zunutze machen, die immer klarer darauf hinweisen, dass die Nicht-Direktivität tatsächlich der Weg zu einer authentischen menschlichen Entwicklung ist.

Die Balance zwischen Freiheit und Grenzen

So gesehen kommt uns das Grundproblem aller „Bildung“ und allen Lernens verblüffend einfach vor, dass nämlich Kinder jeden Alters Tag für Tag Entscheidungen treffen müssen, die ihren authentischen Bedürfnissen entsprechen. Eine für spontane Handlungen geeignete Umgebung ist aber keinesfalls eine „unbegrenzte Umgebung“. Vielmehr hat jede Lebenssituation sowohl natürliche Grenzen wie auch Grenzen des menschlichen „common sense“. Wir erkennen, dass es keine absolute Freiheit gibt, sondern diese ausschliesslich innerhalb von bedingenden inneren und äusseren Grenzen geschieht, aber dass es möglich ist, diese Grenzen zu erweitern.

Herausforderungen und Widerstände

Auch wenn wir allmählich Übung darin bekommen, die Direktivität bei anderen zu entdecken, ist es noch ein langer Weg, bis wir sie spontan auch bei uns selbst im Umgang mit anderen spüren. Erwachsene, die entschlossen sind, sich für eine neue „Bildung“ einzusetzen, müssen mit Kritik von vielen Seiten rechnen.

Die Bedeutung einer neuen Bildungskultur

Umgebungen schaffen, in denen Kinder als Kinder leben können, ist eine Herausforderung für Eltern und Lernbegleiter. Auch wenn die Nationen das meiste Geld für „Erziehung“ ausgäben; und alle Kinder der Welt statt Schulbücher wunderschönes didaktisches Material und iPads zur Verfügung hätten, im Waldkindergarten und auf dem Schulbauernhof, auf Sofas sitzend oder in Hängematten liegend lernen dürften  – all dies würde am eigentlichen Problem vorbeigehen, wenn wir nicht lernen könnten, unsere menschlichen Beziehungen ohne Direktivität zu gestalten.

Die pädagogischen Urbitten als Umsetzumg einer nichtdirektiven Haltung

Das Beste wäre allerdings, damit schon in unserem Umgang mit ganz kleinen Kindern anzufangen, bevor sie sich nämlich gegen die Direktivität der Umwelt mit ihren eigenen Manipulationen wehren. Wenn wir diese Aufgabe wirklich ernst nehmen, gibt es bestimmt Widerstände – in uns selbst und in der Umgebung. Andrerseits aber ist es, gerade auch in der Schweiz und in Deutschland, angesichts der enormen wirtschaftlichen und ökologischen Herausforderungen und den damit verbundenen Erkenntnissen eine der wenigen reellen Chancen, innovativ, kreativ und unternehmerisch zu bleiben. Die Beherzigung der vier pädagogischen Urbitten ist eine Hilfe dazu.

Ein Kommentar

  1. buna sera peter

    vor monaten hab ichs mal so erweitert… bild im anhang… https://dissent.is/engelspause/

    sms 😉

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