Präsenzzeiten und Aufgaben der Lernbegleiter:innen
In einem Haus des Lernens arbeiten die Lernbegleiter:innen während festgelegter Präsenzzeiten – von 8:00 Uhr morgens bis 16:30 Uhr nachmittags. Bei einer Vollzeitanstellung bieten sie acht Inputs zu je 20 Minuten an, zwei Clubnachmittage, begleiten die Lernpartner:innen im Lernatelier oder auf dem Marktplatz und haben Zeit für persönliche Gespräche unter vier Augen. Die Präsenzzeiten können flexibel an persönliche Bedürfnisse angepasst werden, z. B. mit einem früheren Start oder einem früheren Feierabend. Korrekturen, Mitarbeitergespräche, Konvente und Elterngespräche sind Teil dieser Präsenzzeit.
Besondere Priorität hat die persönliche Begleitung – das Gespräch unter vier Augen – die vor allen anderen Lernaktivitäten Vorrang hat.
Die Wahl des persönlichen Begleiters
Zu Beginn eines Lernjahres, in den Kennenlernwochen, wählen die Lernpartner:innen ihren persönlichen Lernbegleiter. Diese freie Wahl ist ein zentraler Baustein für den Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung. Sollte die „Chemie“ nicht stimmen, ist ein Wechsel möglich. Wichtig ist, dass der Lernbegleiter eine konstante Bezugsperson ist – Anwalt, Berater, (kritischer) Freund – mit dem vertrauensvoll besprochen werden kann, was das autonome Lernen, die Potenzialentfaltung und die Persönlichkeitsentwicklung unterstützt und dem Lernpartner im Alltag hilft.
Die Treffen unter vier Augen sollen für beide Seiten eine Bereicherung sein, selbst wenn es um Konflikte und unterschiedliche Interessen und Ansichten geht. Ein Beispiel, das diese Haltung zeigt, ist die Anfrage eines Lernpartners: «Herr Fratton, ich muss mit ihnen unter drei Augen reden, weil eines müssen sie zudrücken.»
Die Gestaltung des Gesprächs unter vier Augen
Die Gespräche finden in einem ruhigen, geeigneten Raum statt – nicht im Flur oder an zufälligen Orten. Die Begrüssung erfolgt mit einem Handschlag. Für jedes Gespräch nehmen sich beide mindestens eine halbe Stunde Zeit.
Zunächst folgt ein strukturierter Einstieg („Pflichtteil“), in dem Fragen geklärt werden wie:
– Was ist das Ziel des Gesprächs?
– Was läuft gut? Was könnte besser sein?
– Wie fühlst du dich in dieser Umgebung?
– Was beschäftigt dich zurzeit?
Nach diesem «Pflichtteil», wenn wir besprochen haben, was notwendig ist, haben wir Zeit für den Kürteil. Wir nehmen uns stets die ganze halbe Stunde Zeit füreinander. Den Kürteil habe ich formuliert als 3Z. Eine Abkürzung, allerdings in Schweizer Mundart, für Ziit zum zämesii (Zeit, um zusammen zu sein), um über Gott und die Welt zu plaudern. Für mich waren diese 3Z sehr häufig sehr lehrreich. Ich habe nie soviel gelernt über Gefühle und Gedanken, Sorgen und Hoffnungen von adoleszenten Jugendlichen wie in den 3Z-Phasen.
Gesprächsfrequenz und Gastgeberrituale
Etliche Häuser des Lernens haben die persönlichen Gespräche terminiert, z.B. alle zwei Wochen findet ein Gespräch statt. Persönlich finde ich es besser, wenn die Gespräche nach Bedarf durchgeführt werden. Es gibt Lernpartner:innen, die möchten am liebsten jeden Tag ein Gespräch und anderen genügt eines pro Quartal durchaus. Der Gesprächswunsch kann vom Lernpartner oder vom Lernbegleiter aus gehen. Wenn der Lernpartner das Gespräch wünscht, ist er der Gastgeber und erkundigt sich vorher beim Lernbeleiter (Gast), ob er ihm ein Glas Wasser, einen Tee oder einen Kaffee anbieten darf. Oft bringen die Lernpartner:innen auch eine kleine Überraschung mit. Wünscht der Lernbegleiter das Gespräch, ist er der Gastgeber und erkundigt sich beim Lernpartner (Gast), was er ihm anbieten darf. Rituale sind im Lernalltag wichtig und die Gastgebermentalität ist ein geschätztes Ritual, das eine sehr wertschätzende Haltung zum Ausdruck bringt.
Keine Weitergeben der LernpartnerInnen – sondern Wachstum durch Begleitung
Ein wichtiger Grundsatz der persönlichen Begleitung ist die Prämisse, möglichst kein Kind und keinen Jugendlichen weiterzugeben, z.B, bei Schwierigkeiten an die Schulsozialarbeiterin, an den Rektor oder Schulpsychologen etc. (Ich erinnere mich an ein Gespräch mit Paul Watzlawick, der mir sagte: «Weisst du, die Schulpsychologen sind vor allem für die Lehrer da.»). Wenn ich als Begleiter an meine Grenzen stosse, mache ich mich selbst bei einer Fachfrau oder einem Fachmann kundig, um so meine Kompetenzen zu erhöhen und dem Lernpartner ein kompetenterer Begleiter zu sein. Nicht immer ist es möglich, dass der Lernbegleiter ohne fachliche Hilfe zurechtkommt, aber dann sucht er zusammen mit seinem Lernpartner die Fachperson auf. Dieser holistische Ansatz war für mich anfänglich neu. Ich habe ihn durch einen systemischen Psychiater kennengelernt. Eine Lernpartnerin mit Anorexieproblemen habe ich an ihn überwiesen. Nach zwei Konsultationen rief er mich an und meinte: «Es ist besser, wenn du weiter machst. Das Mädchen hat eine gute Beziehung zu dir, die ist hilfreicher als meine Sprechstunden.» Er half mir, mehr medizinisches Wissen über Anorexie zu erhalten. Das war mein Anlass, der Beziehung einen mindestens gleichen Wert zu geben wie der Fachlichkeit.
Abschluss und Dokumentation
Am Ende des Gesprächs wird gemeinsam entschieden, ob ein Folgetermin vereinbart wird. Die Verabschiedung erfolgt wiederum mit Handschlag.
Innerhalb eines Tages erstellt der Gastgeber ein kurzes Protokoll für den Gast – entweder frei formuliert oder anhand eines Gesprächsrasters.
Es gilt, was Hartmut von Hentig treffen formulierte: Ohne Beziehung keine Bildung.